Bis Anfang Juni 2018 fühlte ich mich immer besser. Sollte das wirklich endlich einmal der Durchbruch sein? Ich war ab und zu sogar so stark, dass ich ein paar kleine Strecken Fahrrad fuhr. Ich nahm weiterhin täglich meinen Kräutersud ein und merkte dann Ende Juni, dass wieder eine Anpassung nötig wurde. Meine Ambulanzärztin war allerdings im Urlaub und so entschied ich mich auch einmal Urlaub vom Kräutertrinken zu machen. Nach drei Tagen begann wieder ein heftiger Abwärtstrend. Meine Verdauung wurde rasant schlechter, das Müllgefühl im Magen-Darm-Trakt wuchs mit jedem Tag. So dringend brauchte ich also die Kräuter noch! Endlich bekam ich wieder Kräuter verschrieben und weiter konnte es gehen. Ich war frohen Mutes, dass sich mein Zustand wieder rasch stabilisieren würde. Leider passte die Mischung überhaupt nicht. Mir ging es noch schlimmer davon. So telefonierte ich wieder mit meiner Ärztin und sie passte die Rezeptur an. Wieder hatte ich Hoffnung, dass ich mit dieser Mischung weiter kommen würde. Dieses Prozedere praktizierte ich nun noch bis Ende August. Ich probierte bestimmt noch 7 weitere Rezepturen aber nichts ging mehr. Es ging mir weiter immer schlechter und alle Hoffnung schwand, dass der Weg der Telefonbehandlung mit ambulantem Termin aller 8 Wochen zum Erfolg führen könnte. Meine innere Stimme sprach zu mir, dass es nun wohl an der Zeit sei mein eigenes Wissen anzuwenden und ich endlich den Mut aufbringen sollte es nun einmal selbst mit den Kräutern zu probieren. Ein leises Angstgefühl überkam mich, dass ich mich vergiften könnte oder, dass ich nicht genug Wissen hätte, um mich völlig allein durchzuschlagen. Ich gab mir Zeit für die Entscheidung. So hörte ich für 10 Tage auf, chinesische Arzneidrogen zu nehmen. Und es ging mir verdammt schlecht in dieser Zeit. Die unpassenden Rezepturen vorher hatten mich schon umgehauen und jetzt ging es mir ungelogen so schlecht wie ganz am Anfang. Das war eine Achterbahnfahrt. Ich hatte wieder alle Symptome über dessen Verschwinden ich schon einmal so glücklich war: Kopfschmerzen täglich, Benommenheit, Sprachstörungen, Kribbeln im Oberkörper, Reizüberempfindlichkeit, Absterben von Armen und Beinen, Druckgefühl im Oberkörper, Verdauungsstillstand, schlaflose Nächte. Der Virus hatte sich also wieder im ganzen Körper bis ins Gehirn ausgebreitet.
Dann traf ich die Entscheidung: ich würde wieder TCM-Kräuter nehmen aber diesmal würde ich mir zum allerersten Mal die Rezeptur selbst erstellen. Die Angst etwas falsch zu machen blieb ganz klein hinter einer großen Zuversicht, dass ich auf dem richtigen Weg war. Ich tüftelte mir eine Rezeptur aus, bestellte die Rohdrogen in der Apotheke mit ein paar Braungläsern zum Aufbewahren dazu und begann erstmalig Kräuterhexe zu spielen. Nach der Einnahme der ersten Rezeptur wurden die Kopfschmerzen noch stärker und ich erbrach. Danach hatte ich so wenig Energie, dass ich mich kaum auf den Beinen halten konnte. Nicht einmal das löschte meinen Kampfeswillen aus. Ich änderte sofort die Rezeptur und trank diese am Nachmittag. Die Übelkeit verschwand, die Kopfschmerzen und alle anderen Symptome blieben. So tastete ich mich weiter vor. Ich hatte gelernt, dass ich das Millieu für die Pathogene in meinem Körper verändern bzw. verringern musste, dass sie immer weniger Platz hatten sich in mir wohlzufühlen. In der TCM heißt dieses Millieu „Nässe“. Dort fühlte sich alles was nicht in meinen Körper gehörte wohl und momentan hatte ich diese Nässe überall, was anhand der Symptome unschwer zu erkennen war. Ziel meiner Therapie sollte sein, den Körper so zu stärken, dass er die Kraft für eine Infektabwehr aufbringen konnte. Viren konnten am besten mit dem Schnupfen eines Infektes meinen Körper wieder verlassen. So hatte ich es gelernt und so behandelte ich mich jetzt auch.
Nach einer Woche Eigenmedikation schwebte ich im Stolz: ich hatte die meisten meiner Symptome wieder wegbekommen, keine Kopfschmerzen mehr, konnte wieder schlafen und der Appetit kehrte zurück. Das war die schnellste Besserung während meiner gesamten Behandlungszeit. Blieb noch die stagnierte Darmbewegung mit meiner gefühlten Blockade und die noch sehr starke Schwäche. Nach drei Wochen konnte ich wieder allein einkaufen gehen ohne, dass ich Angst haben musste beim Warten an der Kasse zusammenzubrechen. Das war für mich ein so großer Erfolg. Von nun an war es für mich eher ein gieriges Lernen als eine Belastung. Es machte mir immer mehr Spaß mit den Kräutern und meinem Körper zu arbeiten und ich gab dem Ganzen sehr viel Aufmerksamkeit. Das brachte mir aber auch die rasche Verbesserung ein. Ich kochte jeden Tag neu und konnte schon nachmittags etwas ändern, wenn etwas nicht ganz passte. So kam ich einfach irre schnell voran und therapierte mir ein Symptom nach dem anderen weg. Oder anders ausgedrückt: mein Virus „Victor“ hatte immer weniger Rückzugsmöglichkeiten in meinem Körper und ich konnte ihn immer weiter zurück drängen. Meine Kraft wuchs. Die Verdauung wurde so stark, dass ich das Gefühl hatte, ich könnte von meinen empfohlenen Nahrungsmitteln alles essen. Nach vier Wochen Eigenmedikation kratze es im Hals und ich bekam Gliederschmerzen. Von da an fühlte ich mich eher als hätte ich eine akute Grippe als CFS/ME, denn alle CFS-Symptome waren weg. So weit war ich gekommen, das gab mir mächtig Mut!
Nun hatte ich also diese akuten Grippesymptome, die sich aber irgendwie nicht entwickelten. Ich hatte die anderen Symptome im Griff aber schaffte es nicht den Infekt so richtig zum Laufen (im wahrsten Sinne des Wortes!) zu bringen. Die Kraft reichte noch nicht für Schleimbildung in der Nase oder zum heftigen Schwitzen aus. Ich probierte weiter mit kleinen Veränderungen an der Rezeptur. Die Darmblockade fing an sich zu lösen, was für ein Gefühl! Es fing tatsächlich wieder an zu fließen in mir drin. Nach sechs Wochen stagnierender Grippe verließ mich zum letzten Mal mein Mut. Ich hatte das Zutrauen verloren, dass ich es richtig zum ausheilenden Infekt bringen konnte. Dachte dann auch, dass ich noch andere Kräuter bräuchte für dieses Stadium, mit dem ich noch keine Erfahrungen hatte.
Ich sah mir im Internet die Webseite des „Chinesenmanns“ an, der mein allererster TCM-Therapeut war. Er schrieb auf einer ganzen Seite einen Artikel zur Behandlung von chronischen Infekten. (nichts anderes ist CFS/ME – eine systemisch gewordene Infektion) Dieser Artikel beeindruckte mich so sehr, dass ich ihm noch eine zweite Chance geben wollte. Vielleicht konnte er mir ja in diesem Stadium helfen, den „Feind“ endgültig zu eliminieren. Von da an starteten wir eine erneute Zusammenarbeit. Durch mein gesammeltes Wissen war es jetzt sehr viel einfacher seine Methoden zu verstehen, weil wir uns gänzlich fachchinesisch unterhalten konnten. Ich mischte mich auch ein, welche Kräuter ich vertrug und welche nicht. So gab es Dinge, die sich weiter verbesserten und welche, die sich auch leider wieder verschlechterten. Allmählich verschwanden meine Grippesymptome und Schritt für Schritt kehrten die CFS-Symptome wieder zu mir zurück. Wie oft hatte ich das jetzt schon erlebt. Nagut, ich wollte dem Chinesenmann noch die Chance zur Einarbeit geben. Mein Klumpengefühl im Bauch wurde besser. Alles wurde geschmeidiger und war nicht mehr so zur Faust geballt. Aber insgesamt ging es mir doch sehr bescheiden. Ich hasste die zurück gekommenen Symptome, die ich selbst schon wegbekommen hatte. Bis zum Jahresende 2018 änderte sich mein Zustand kaum. Ich fühlte mich schwach, schaffte den Einkauf gerade so und ein wenig Hausarbeit. Das war alles. Der Infekt war wieder in weite Ferne gerückt und ein bisschen Resignation kam zurück. Hatte ich zu schnell aufgegeben? Hatte mich der Mut zu schnell verlassen selbst weiter zu machen? Was sagte mir das alles?
Bis zu meinem Geburtstag am 3. März 2019 versuchte ich der Behandlung durch den Chinesenmann noch etwas Gutes abzugewinnen und ich hätte mir nichts sehnlicher gewünscht als zu meinem Geburtstag eine wirkliche Trendwende feiern zu können.
Meinen Geburtstag verbrachte ich mit ein paar ganz wenigen ausgewählten Gästen mit heftigen Kopfschmerzen und Übelkeit am Vorabend. Ich war wie Matsch. Trotzdem war es ein schöner Tag an dem ich mich gern von den Mitmenschen mal von den heftigen Symptomen ablenken ließ, so gut es ging.