37. Die Reha

April 2018

Meine finanzielle Situation verschlechterte sich nun immer mehr. Meine Rücklagen hatte ich für alternative Therapien ausgegeben und Krankengeld erhielt ich schon lange nicht mehr. Ich lebte in dieser Zeit vom Übergangsgeld des Arbeitsamtes, was zwischen Krankengeld und Antrag auf Erwerbsminderungsrente gezahlt wurde. Aber auch das hatte in absehbarer Zeit ein Ende und ich musste die EM-Rente beantragen. Das war ein schrecklicher Schritt für mich. Natürlich musste ich irgendwie Geld beantragen aber von der Rentenkasse in meinem Alter? Das war für mich eine kaum auszuhaltende Vorstellung. Was hätte ich darum gegeben wieder arbeiten zu können. Ich hätte mich auch irgendwie hingeschleppt. Aber selbst zum Hinschleppen fühlte ich mich noch nicht stabil genug. So blieb mir nichts anderes übrig als die Rentenversicherung in Anspruch zu nehmen. Natürlich bekam ich dann auch schnell die Nachricht, dass ich eine Reha machen müsse. Das war für mich schon irgendwie ein Schock, denn welche Reha kann bei CFS/ME schon die richtigen Methoden und vor allem das geeignete Ambiente anbieten? Wo ich mich in meinem eigenen Umfeld mit viel Ruhe, TCM und Spaziergängen ohne viele Reize am Wohlsten fühlte. Aber ich hatte keine Wahl, ich musste die drei Wochen (zum Glück waren es nur drei Wochen!!!) irgendwie überleben, wenn ich weiterhin Geld bekommen wollte.

Es war eine riesige Rehaklinik. Im Speisesaal hatten gefühlt 1000 Leute Platz und ich wurde dort an einen voll besetzten 6er Tisch, an dem lauter Männer aus der Baubranche saßen, zugeteilt. Die Lautstärke in diesem Saal war extrem. Zum Glück saß ich gleich am Fenster und ich konnte hinausschauen in die Freiheit. Die Ärzte waren zwar mit meinem Krankheitsbild völlig überfordert aber sie erfüllten mir meine Wünsche bezüglich der Behandlungen die bei ihnen möglich waren. So bekam ich Akupunktmassage nach Penzel, was äußerst angenehm für mich war, Wärmepackungen, Nordic Walking, Psychologische Beratung, Gymnastik und Autogenes Training. Natürlich begleitet von vielen Untersuchungen. Am Anfang schaffte ich alles noch recht gut. Aber die Reizüberflutung der Klinik hinterließ bei mir sehr schnell Spuren und ich verlor rasch an Kraft. Immerhin konnte ich in der Diätlehrküche der Klinik meinen TCM-Kräutersud kochen. Das Nordic Walking schaffte ich dann in der zweiten Woche schon nicht mehr, das Tempo war viel zu schnell und die Strecken deutlich zu weit. Das war so deprimierend für mich, da in meiner Gruppe deutlich ältere Herrschaften viel fitter waren und das spielend schafften. Und ich, der einst so sportlich unterwegs war konnte nicht mal die zwei drei Kilometerchen mithalten. Dieser ungewollte Vergleich zog mich noch zusätzlich herunter. Schließlich schaffte ich auch die Gymnastik in der Turnhalle nicht mehr. Auffällig war, dass mir alles, was mit Ruhe zu tun hatte gut tat. Das Autogene Training war super, eine kleine Insel im Rehareiz. Zum Glück hatte ich ein Einzelzimmer. Das hätte mir noch den Rest gegeben, wenn ich mich auch noch mit jemandem arrangieren hätte müssen. So lag ich zwischen den Terminen nur noch im Bett, weil ich immer schwächer wurde.

Am Ende der letzten Woche wurde ich noch einmal an einen Arzt weitergeleitet, der die Krebspatienten behandelte, die unter Fatique-Symptomen litten. Er hatte selbst einen Fragebogen entwickelt, mit Hilfe dessen er den Grad der Fatique bestimmen konnte. Ich füllte diesen Fragebogen aus und er war sehr erschrocken über das Ergebnis. Aber CFS/ME ist eben doch noch etwas ganz anderes als die Fatique nach der Krebsbehandlung. Das erste Gespräch mit ihm war sehr offen und ich war verblüfft wie gut er mir zuhörte und wie verständnisvoll er war. Er äußerte sogar sein Mitleid, dass ich mich jetzt auch noch mit der Reha herumplagen musste, wo das bei meinem Krankheitsbild sicher alles andere als förderlich war. Das war einmal eine Wohltat. Er veranlasste, dass auch nocheinmal im Blut erweiterte Tests gemacht wurden, um weitere Mängel aufzudecken. Aber der Leistungskatalog der Renten-/Krankenkassen ist doch leider sehr beschränkt. Der Bluttest zur Bestimmung der Mitochondrienleistung war noch Zukunftsmusik und wäre sicher eines der wenigen Ergebnisse gewesen, an denen man meine Verfassung vielleicht hätte messen können. Egal, die Begegnung mit diesem Arzt half mir auch noch über die letzte Woche hinweg. Er veranlasste auch, dass ich am Wochenende noch einmal großzügig freigestellt wurde, um nach Hause und mich ausruhen zu können. Er ermutigte mich die letzten drei Tage danach auch noch zu schaffen. Dieses Verständnis gab mir auch wirklich noch ein klitzekleinwenig Kraft und irgendwie schaffte ich noch die restlichen Tage. Am vorletzten Tag war ich so schwach, dass ich nicht einmal mehr in der Lage war eine Etage tiefer in die Teeküche zu gehen und mir heißes Wasser zu kochen. Am letzten Tag wurden noch einmal alle Register gezogen und ich sollte zum EEG. Mir war inzwischen alles egal, ich wollte das nur noch hinter mich bringen und mich dann zu Hause an einem Überschuss an schönen Dingen „betrinken“. Ich wusste, dass mich das schnell wieder auf die Beine bringen würde. Das EEG gab mir aber noch den Rest. Mein gesamter Kopf wurde mit einer sandigen Paste eingeschmiert, die Haare ziepten und ständig mussten die Elektroden versetzt werden, weil meine Haare irgendwie im Weg waren. Dann, nach gefühlt einer halben Stunde, als endlich alles funktionierte, musste ich Kopfrechenaufgaben lösen. Mein Gehirn schaltete ab. Ich konnte nicht denken. Ich hatte keinen Zugriff mehr auf die Festplatte. Egal, irgendwas versuchte ich zwischendurch zu denken. Zum Schluss wurde mir vor die Augen noch ein Stroposkoplicht gestellt, was mich anblitzte, als ich mit geschlossenen Augen so da saß, als sei ich im falschen Film. „Oh Herr vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ So konnte man einem CFSler auch noch den Rest geben. Das war für mich Psychoterrror in Reinstform. Ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten, ich war fix und fertig. Vor allem psychisch war ich völlig am Ende. Die wussten wirklich überhaupt nicht, was sie mir damit antaten. Eigentlich dachte ich, dass sie mich hier aufbauen sollten. Aber das war einfach nur die Hölle. Die Elektroden wurden abmontiert und ich wurde mit meinen verschmierten Haaren entlassen. Unvorstellbar. Ich hatte einen Heulkrampf für eine Stunde. Irgendwie schleppte ich mich verklebt und tränenverschmiert zurück in mein Zimmer, wo ich irgendwann einschlief. Als ich aufwachte duschte ich ausführlich und stellte mir vor, wie ich die ganzen Rehaeindrücke und die extreme Überreizung, die ich hier erfahren hatte von meinem Körper abspüle und sie im Ausguss auf nimmer Wiedersehen verschwinden. Danach ging es mir psychisch wieder deutlich besser. Morgen um die Zeit wäre ich schon zu Hause und alle Reha-Termine lagen nun hinter mir. Ich bin davon überzeugt, dass für viele Krankheitsbilder eine solche Reha-Maßnahme toll ist. Und dass bei diesen Krankheiten die angebotenen Kurse und Kuren sehr sinnvoll sind. Aber stellt man sich vor, wie man sich fühlt, wenn man eine schwere akute Grippe hat, dann kann man ungefähr nachfühlen, wie unpassend in diesem Moment ein Aufbauprogramm mit vielen akustischen und visuellen Reizen und körperlicher Belastung wäre, weil man sich eher unter einer warmen Bettdecke mit einem warmen Tee verkriechen möchte. Nichts hören und nichts sehen. Das ist wie CFS, bloß CFS ist mit falscher Therapie dauerhaft.

Die Reha gehörte zu den schlimmsten Erfahrungen während meiner gesamten Krankheitszeit. Nur der Glaube, dass ich mich durch meine Trainingsmethoden danach wieder rasch erholen würde, ermöglichte mir dort nicht den Verstand zu verlieren.

Die einzig schöne Erfahrung dort war das Kennenlernen eines äußerst netten und verständnisvollen Arztes und dass draußen in der Natur der Frühling erwachte.

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