Es war kurz vor Weihnachten 2014. So eine trübe Aussicht auf das Weihnachtsfest hatte ich noch nie zuvor in meinem Leben verspürt. Ich war so alleingelassen. Außer von meinem Mann der mir jeden Tag viel Mut machte und mich zum Durchhalten animierte. Aber ich wusste nichts. Ich wusste nicht, wie ich mit meinen Symptomen umgehen sollte, glaubte nicht so recht daran, dass es ein Pfeiffersches Drüsenfieber sein sollte, weil ich außer der verstopften Nase und leichten Halsschmerzen nichts hatte, was auf irgendeinen Infekt hindeutete. Dagegen hatte ich so viele andere heftige Symptome, wie der benebelte Blick, diese völlige Erschöpfung nach nur ganz geringen Anstrengungen, Kurzatmigkeit, heftiges Herzklopfen, starke Nahrungsmittelunverträglichkeiten, absolute Reizintoleranz, meine Gliedmaßen waren schwer wie Blei und schlafen konnte ich auch nicht ruhig. Außerdem war ich früh so erschöpft, als hätte ich die ganze Nacht durchgemacht. Ich konnte jeden Morgen nicht fassen, dass die Nacht schon wieder vorbei sein sollte. Den Einkauf schaffte ich schon lange nicht mehr, inzwischen konnte ich mir wenigstens etwas zu essen machen. Manchmal schaffte ich einen kleinen Spaziergang von fünfzehn Minuten. Danach musste ich mich allerdings wieder lange ausruhen.
Nun grübelte ich, wie ich den Weg zum Heilpraktiker schaffen sollte. Er hatte seine Praxis nur 15 Gehminuten von unserem Haus entfernt aber mir graute davor unterwegs einfach keine Kraft mehr zu haben und kreislaufmäßig zusammenzuklappen. Ich nahm allen Mut zusammen, schob die negativen Gedanken weg und ging ganz in Ruhe und auf meinen Körper hörend Richtung Heilpraxis. Es ging einen kleinen Berg hinauf. Zu gesunden Zeiten wäre ich nie auf die Idee gekommen das kleine Hügelchen „Berg“ zu nennen aber jetzt wurde es für mich richtig zum Problem. Die Atemnot verschlechterte sich immens und ich musste mehrere Pausen einlegen. So erleichtert war ich, als ich endlich im Wartezimmer saß und mich etwas ausruhen konnte. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass mir jetzt endlich jemand helfen wird.
Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nichts von Chinesischer Medizin. Somit war die Erstanamnese, die Herr Samuelson (Name geändert) mit mir machte völliges Neuland für mich. Er fragte so viele Dinge über meinen Zustand, das hatte bisher kein einziger Arzt gemacht! Mir war es regelrecht peinlich von meinen ganzen Symptomen zu berichten aber das Faszinierende war, dass ich noch nicht alle Symptome aufgezählt hatte und er von sich aus die restlichen ergänzte. So fragte er mich z.B., ob ich auch Jucken in den Innenwinkeln der Augen habe. Ich war total verblüfft. Woher wusste er das? Auch alle anderen, die ich aufzählte notierte er sich in seinen Computer und machte nicht den Anschein, dass irgendetwas neu für ihn sei. Leider war er sehr wortkarg und er erklärte mir nichts. Allerdings fragte er sehr genau nach meinem Infekt, was dann später passierte und ob ich in diesem Jahr und generell auch in der Kindheit schon viel Antibiotika bekommen hätte. Ich erzählte ihm auch, dass meine Hausärztin meinte, ich hätte Pfeiffersches Drüsenfieber und eine völlig zerstörte Darmflora. Und dass ich selbst der Meinung war eine „Superinfektion“ mit Candida zu haben. Ich las im Internet, dass das auch mit so großer Schwäche und benebeltem Blick bzw. Benommenheit einhergeht. Darauf antwortete er nur kurz: „Wenn der Körper so schwach ist, wie bei Ihnen, dann fühlen sich Bakterien, Viren und Pilze sehr wohl und vermehren sich rasend schnell.“ Er interessierte sich auch überhaupt nicht für den Erreger, er machte kurz klar, dass er allen Störenfrieden in mir drin die Lebensgrundlage entziehen, den Körper aufräumen will. Das hieß in erster Linie die Verdauung wieder zu verbessern, dass in meinem Magen und Darm nicht mehr so viel „Müll“ liegenbleibt. OK, das verstand ich. Er tastete noch intensiv meine Pulse und erklärte mir nur kurz, dass das noch viel genauer als eine Blutuntersuchung sei. Das nahm ich erstmal mit einem kleinen Stirnrunzeln zur Kenntnis und ließ ihn machen. Ebenso genau betrachtete er meine Zunge von oben und von der Unterseite. Mein Bauch wurde ebenfalls abgetastet und nach Schmerzen, Verhärtungen, Blähungen und Verkrampfungen kontrolliert. Damals hatte ich keine Ahnung, was das Ganze sollte aber ich hatte keine Wahl, ich musste ihm jetzt erstmal vertrauen. Er schrieb eine Rezeptur in seinen PC und übergab diese dann seinem Mitarbeiter der im Wartezimmer hinterm Thresen saß. Gefühlt hunderte kleine viereckige Dosen auf denen chinesische Schriftzeichen zu lesen waren, wurden dort in Regalen aufbewahrt. Dort hatte er auch einen großen Schreibtisch, ja eher eine Arbeitsplatte auf dem auch eine kleine Präzisionswaage stand, wo er sogleich damit begann meine Mischung für mich aus den Pulvern der einzelnen Dosen zusammenzustellen. Ich bekam noch einen neuen Termin für die nächste Woche und nahm letztendlich sprachlos und gespannt zwei kleine viereckige Dosen mit meiner ganz persönlichen pulverisierten Kräutermischung und einer Zubereitungsanleitung mit nach Hause. Naja, das kam mir alles sehr seltsam vor aber was ich als sehr angenehm empfand, dass Herr Samuelson keines meiner Symptome irgendwie abtat. Als ergäbe alles für ihn irgendeinen Sinn. Und er nahm sich sehr viel Zeit, so konnte ich mich sehr ernstgenommen fühlen und hatte die Hoffnung, dass er mir helfen kann, auch wenn ich von seiner Methode nur „Bahnhof“ verstand. Im Gegensatz zu einem schulmedizinischen Arzttermin war das eine völlig andere Welt. So lange war ich noch nie in einer Praxis!
Zu Hause angekommen musste ich mich natürlich erstmal ausruhen. Doch dann kam die Neugier auf meine Kräutermedizin, die ich gemixt bekommen hatte. Ich bereitete sie mir zu und trank meine erste Dosis.
Was war das für ein widerlicher Geschmack! So etwas ungewöhnlich Ekliges hatte mein Gaumen vorher noch nicht bekommen und ich musste mich die ersten Tage sehr überwinden, diesen Trank in mich hineinzubekommen.